Zwei Beständige Zwischenlösungen
Schanfigger Momentaufnahmen». Diese Ausgabe: Beliebte Treffpunkte: «Evis Brunnastübli» und «Silvanas Bäsabeiz» in Peist
«A Gaffi kanni macha, und as Brötli ... Wenn iar wenn, denn machi das». Nach der Schliessung des Restaurants «Gartniel» im Dezember 2009 schenkt Evi Michael jeden Montag in Peist Kaffee aus, nicht etwa in einem Restaurant, sondern im ehemaligen Postschalter bei ihr im Haus. Als ein paar Jahre später auch noch das letzte Restaurant im Dorf, das «Rössli», seine Türen endgültig schliesst, öffnet Evi ihr «Brunnastübli» länger und öfters. Kurze Zeit später zieht Silvana Vogler mit und öffnet bei sich im Stall ein kleines «Bäsabeizli», das immer grad dann offen hat, wenn «Evis Brunnastübli» zu ist. Eine Momentaufnahme zweier Frauen, die sich seit über zehn Jahren aus ihrer eigenen Stube heraus dafür einsetzen, dass die Leute in Peist einen Rückzugsort haben, durch den sie nicht nur Kaffee und Brötli, sondern auch ein kleines Stück Gesellschaft finden.
Der Weg zu «Evis Brunnastübli» führt – wie könnt’s anders sein – am Peister Dorfbrunnen vorbei. Rechts und etwas abgesetzt vom Dorfladen fällt ein sonnenverbranntes Holzhaus mit leuchtend roten Geranien ins Auge, dahinter weitet sich der Blick tief ins Tal mit seinen Bergflanken, die das Haus wie gemalt umrahmen. Läuft man links der Hauswand entlang, führt der Weg zu einem kleinen Stall mit Wachteln. Dreht man sich nach rechts, steht man vor dem Eingang zum «Brunnastübli». Den Bezug zum Dorf spürt man nicht nur, weil das «Brunnastübli» mitten in Peist steht, sondern weil schon an der Haustüre gratis Traubenzückerli vom Dorfladen nebenan angeboten werden. «Sie meinten, meine Gäste würden sich sicher darüber freuen.» Die liebevoll platzierten Traubenzucker stehen vielleicht gar exemplarisch für das Miteinander im Dorf – man hilft sich rasch aus, wenn’s bei mir nicht zieht, dann vielleicht bei dir, wäre halt schon schön, wenn jemand Freude dran hat. Betritt man das «Brunnastübli» merkt man sogleich, dass hier unterschiedliche Zeiten zusammenfallen. Das Stübli erinnert an die eigene Geschichte als Postschalter; die Zwischenwand aus Milchglas ist geblieben, wie auch die aufschliessbare Durchreichluke für die Postgeschäfte. An einer Wand hängt der gerahmte, letzte Poststempel, daneben ein alter Postsack aus Leinen, im hinteren Raum lässt sich gar ein dunkelgrüner Tresor erspähen. Was früher elementarer Teil der Poststelle war, wird heute für das Stübli umfunktioniert. Auf der Arbeitsfläche wird nicht mehr gestempelt, sondern Kaffee gemacht, statt dass im Vorraum vereinzelte Leute hintereinander anstehen und warten, sitzen sie nebeneinander an einem runden Tisch auf schwungvollen Holzstühlen und trinken ihren Kaffee mit einem Rähmli und einem Lindt-Schöggali dazu. Sitzt man erst mal ab, vergisst man rasch, dass man sich eigentlich in einem temporären Zwischenraum befindet – ein einfaches Stübli als schnelle Zwischenlösung, die sich grad so ergeben hat und kurz Abhilfe schaffen soll, bis Peist wieder ein richtiges Restaurant hat. Stattdessen fühlt man sich wohl, fast zu Hause, es könnte auch immer so bleiben. Das mag mitunter damit zusammenhängen, dass der Raum voll mit Dingen aus privaten Peister Haushalten ist: Der runde Holztisch ist von Evi persönlich, der fein gedrechselte Rähmlihalter und das schön verzierte Porzellangeschirr von Leuten aus dem Dorf. Dieses Ineinandergreifen von Privatem und Öffentlichem zeigt sich auch, wenn Evi für ein Glas Hahnenwasser über die Treppe hoch im Haus verschwindet und später mit einem vollen Krug zurückkommt. Was im «Brunnastübli» nicht griffbereit oder verfügbar ist, wird oben im Familienhaus geholt. Wo genau das eigene Heim aufhört und die Gaststube beginnt, bleibt unklar, was dem Stübli letztendlich seinen aufrichtigen Charme verleiht. Diese unscharfe Trennung zwischen meinem und deinem ist eine der vielen verbindenden Linien zwischen «Evis Brunnastübli» und «Silvanas Bäsabeiz».
Läuft man die paar wenigen Meter vom «Brunnastübli» zur «Bäsabeiz» hoch, folgt man auch hier einer Hausfassade bis man auf einem privaten Garten-Vorplatz steht. Durch die offene Stalltüre erkennt man den Eingang zur «Bäsabeiz», auf der Tür selber prangt ein auf Spanholz gebrannter Reisbesen. Das Beizli selber ist einfach zusammengezimmert und nichts als eine ausgebaute Laube, die, so erinnert sich Silvana, spontan und schnell entstanden sei. In der ersten Woche habe der Peister Schreiner Andrea Sprecher dran gebaut, während sie mit ihrem Mann in den Ferien war. Nach ihrer Rückkehr haben sie eine weitere Woche lang die Laube dann selber so schnell und einfach wie möglich fertig eingerichtet. Das hört sich schlichter an, als es zuletzt geworden ist. Tatsächlich ist das Beizli heute voll mit verschiedenen Materialien und Stoffen, von Jagd-Wandteppichen zu gerahmten Bildern und Dekorationen wie verschneiten Tannzapfen und Sonnenblumen. Auch bei ihr haben die Leute private Sachen, darunter gar ganze Möbelstücke mitgebracht und dagelassen, «es kam einfach, und jetzt ists hier». In «Silvanas Bäsabeizli» wird auch Alkohol ausgeschenkt – gerne Kafi Luz – ausserdem wird an jedem zweiten Donnerstagnachmittag gespielt, mal Joker oder Rummikub, mal wird gejasst, halt wie die Leute grad Lust haben. Das Beizli ist damit fester Bestandteil des Dorflebens. Dorfvereine lassen hier ihre Treffen und Anlässe ausklingen, sei es der Turnverein, der Schützenverein oder der gemischte Chor. Gleichzeitig sind auch Gäste willkommen, die es nach dem Wandern in die Wärme zieht oder die auf unmittelbare Weise ein Stück echte Dorfkultur miterleben möchten. Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt Silvana selbst, die mit dem Herz auf der Zunge und etwas Schalk im Nacken dafür sorgt, dass sich alle auch ja wohlfühlen. Einfach sei es dann aber schon nicht und manchmal stehe die Frage im Raum, ob’s nicht langsam Zeit wäre, mit allem aufzuhören. Es passt, dass sie wenig später grad schon wieder abwinkt, meint, sie bleibe schon, sich selber, was zu Trinken holt und sich zu ihren Gästen dazusetzt. Fragt man die beiden Frauen, welches Erlebnis oder welcher Gast in den letzten zehn Jahren Stübli- und Beizli-Betrieb besonders heraussticht, halten beide inne. Nichts und niemand so wirklich, meint Evi, und auch Silvana kann sich an nichts Spezielles erinnern. Stattdessen heben sie beide hervor, wie schön eben grad das Alltägliche und Beständige an ihrer Arbeit sei. Es geht hier um die ganz normalen Montage und Freitage und alles dazwischen. Das Schönste sei, wenn Menschen bei ihnen etwas zur Ruhe kommen und durchschnaufen. Diese Haltung liest sich ganz programmatisch für genau das, was «Silvanas Bäsabeiz» und «Evis Brunnastübli» dem Dorf bieten: weder ein Hochglanz-Café am Puls der schnellen Zeit noch ein Treff für die wildesten der wilden Feste, sondern zwei Rückzugsmöglichkeiten, die vielleicht mal als eine temporäre Zwischenlösung fürs Dorfleben angedacht waren, aber schon längst in ihrer Beständigkeit und Ruhe das Leben in Peist Tag um Tag gemütlicher, geselliger und lebenswerter machen. So überrascht es nicht, dass in «Evis Brunnastübli» ein kleines Schild hängt: «Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen». Mit Blick auf die beiden Frauen ist das keine abgedroschene Phrase, sondern eine Haltung, die in Peist gelebt und durch das Engagement der beiden Frauen überhaupt erst ermöglicht wird – und das fast aus ihrer ganz persönlichen Stube heraus.
Fotos: Ursula Meisser