Tourismus und Kultur auf neuen Pfaden
Schanfigger Momentaufnahmen». Diese Ausgabe: Marie-Claire Niquille im Porträt
Wir treffen die Präsidentin des Kulturvereins Pro Tschiertschen-Praden im «Aux Losanges», dem ehemaligen Café «Engi», das vor fünf Jahren aufwendig renoviert wurde und sich als Treffpunkt für Kunst mit internationaler Ausstrahlung etabliert hat.
Der Ort fürs Gespräch ist nicht zufällig gewählt. Marie-Claire Niquilles Blick schweift durch die Panoramafenster zur Kirche und zum Bühl, dem Aussichtshügel hinter dem Dorf, während Armin Zink als Gastgeber Tee serviert. Er hat sich vor fünf Jahren mit seinem Partner Stéphane Lombardi einen Traum jenseits von kommerziellen Interessen erfüllt, aus Liebe zu Tschiertschen und für die Kunst.
Marie-Claire Niquille hat ebenfalls ein liebevoll erhaltenes altes Walserhaus als Feriendomizil im Dorf, nutzt es aber nur privat für Familie und Freunde. Ihre Passion fürs Dorf und die Kultur setzt sie an verschiedenen Orten um. So waren der Aussichtshügel und die Kirche Schauplatz des theatralen Dorf-Rundgangs von 2018. Das Freilichttheater quer durch Dorf und Landschaft ist exemplarisch für ihr Ideal, Kulturgeschichte, Tourismus und Alltag mit attraktiven künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden.
Der Verein, den Marie-Claire Niquille seit 2015 präsidiert, hat keinen fixen Treffpunkt oder ein Veranstaltungslokal. Aus der Not eine Tugend machend, hinterlässt Pro Tschiertschen-Praden seine Spuren überall in der Gemeinde, in Form von Lesebänken, Konzerten im Freien, im Erlebnisstall oder im Hotel «Alpina», den jährlichen Ausstellungen im alten Schulhaus Tschiertschen oder spannenden Artikeln im Mitteilungsblatt.
Ein Blick ins Mitteilungsblatt zeigt, dass der Verein mehr ist als ein Insiderorgan für die 200 Mitglieder, sondern eine Denkfabrik von und mit Ein- und Zweitheimischen, mit konkreten Projekten zur Erhaltung der Kulturlandschaft, mit beeindruckenden kulturhistorischen Artikeln – die meist die Handschrift des Historikers, langjährigen Präsidenten und Redaktors Georg Jäger tragen. In der aktuellen Ausgabe wird amüsant geschildert, was Charles III, König von England mit der Tschiertscher Skiakrobatik-Weltmeisterin Mia Engi aus Tschiertschen und dem Birabrot aus der Tobelmatte Praden verbindet. Oder es wird aufgerollt, weshalb es zu einer «vorübergehend geschlossenen Jochhütte» kommen konnte.
Ob Filme zum Wildheuet in den 1940er-Jahren, Wanderführer, Leitbildideen zur touristischen Entwicklung, die Wiederherstellung alter Flurwege oder Ausstellungen zur Geschichte des Postautos, des Skiclubs oder der Bauweise von typischen Strickbauten, Pro Tschiertschen war und ist seit 1981 eine treibende Kraft für die Pflege und Weiterentwicklung der vielfältigen lokalen Kultur.
Marie-Claire Niquille ist es ein zentrales Anliegen, neue Formen zu kreieren. Sie nennt dabei den Lesespaziergang, bei dem die Leute, angelockt von Alphornmelodien, vom Dorf ins Furgglis hinaufgewandert sind und an verschiedenen Stationen Mundartgeschichten hörten. «Ich möchte Leute aktivieren, indem sie mitgestalten. Mit «#aifachschön7064» entstehe zum Beispiel mit Material aus der Natur Kunst am Wegrand. Bezüge zu anderen Regionen und Kulturen seien spannend und zeigen, wie global die Herausforderungen Klimawandel, Migration oder Landwirtschaft seien.
Die Reihe «Kultur am Montag» findet in dieser Saison zum neunten Mal statt. Es sei beglückend, dass die Veranstaltungen gleichermassen von Einheimischen wie Gästen besucht würden, weil sie immer wieder ortsbezogene Themen mit Kunstschaffenden oder Fachexpertinnen aus dem Kanton und von aussen verbinden können. Seit der Covidkrise und dem Bewusstsein, dass der Klimawandel bereits Realität ist, besinnen sich viele Leute wieder auf das Naheliegende, Kleinformatige und schätzen Natur und Kultur vor der Haus- und Ferienwohnungstüre.
Auf die Frage, weshalb sie überhaupt so viel ehrenamtliche Arbeit leiste, als ausgebildete Theaterpädagogin und Webpublisherin, meint sie, dass die Arbeit ihr viel Gestaltungsmöglichkeiten biete und auf grosse Resonanz stosse. Tschiertschen und Praden seien für sie Quelle der Inspiration.
Marie-Claire Niquille braucht mit einem verschmitzten Lächeln den Begriff «UHU». «Ums Huus ume» hätten schon ihre Kinder gerne gespielt, im Wechsel zum Bächlein stauen. Es sei bis heute einzigartig, wie man hier Kinder einfach gefahrlos und unbeaufsichtigt spielen lassen könne, ein allerdings noch zu wenig bewusster Standortvorteil. Einen kindgerechten, vor allem aber sanften Tourismus sieht sie als Alternative zu den kommerzialisierten Angeboten. Und schon sprudeln Ideen für neue Projekte aus ihr heraus: «Soundscaping, Geräusche und Klänge entdecken im Unspektakulären, Horchen statt sich bespassen lassen …». Ein Blick in die aktuelle Kulturagenda zeigt: Ihre Visionen setzt sie zeitnah um. Die Veranstaltung «Ässa wie äsia mit gfürchigen Zwischengängen» am 23. Januar zum Beispiel, bei der einheimische Köchinnen nach traditionellen Rezepten kochen. Zwischen den Gängen liest Ursina Hartmann begleitet von Reto Senn einige gfürchige Schanfigger Sagen (Anmeldung bis 19. Januar, buero@pro-tschiertschen-praden.ch).
Angekündigt ist auch «ZeitverLUST»: Lustvoll verspielt weben Barbara Schirmer (Hackbrett) und Carlo Niederhauser (Cello) Klänge zu Skulpturen, in denen der Zeitbegriff gedehnt und ausgehoben wird. Sie loten musikalischen Grenzen aus. Da verfangen sich alpine Ländler-Reminiszenzen in wandernden Minimal-Loops». Und dass die musikalische Reise durch Raum und Zeit im «Aux Losanges» Halt macht, zeigt, wie gut in Tschiertschen kooperiert wird.