2. August 2024

«Das Fondei ist einfach einmalig»

Reportagenreihe «zTal und zBerg.
Schanfigger Momentaufnahmen». Heute im Porträt: Hans Mettier-Heinrich
Hans Mettier-Heinrich auf dem Balkon seines Hauses in Langwies - mit Traumblick ins Schanfigg | © Ursula Meisser
Hans Mettier-Heinrich in der heimischen Stube in Langwies | © Ursula Meisser
Hans Mettier-Heinrich auf dem Balkon seines Hauses in Langwies - mit Traumblick ins Schanfigg | © Ursula Meisser
Hans Mettier-Heinrich in der heimischen Stube in Langwies | © Ursula Meisser

Es gibt Menschen, die haben viel zu erzählen. Und wenn man Glück hat, dann können sie auch erzählen, nämlich so spannend und kurzweilig, dass man gerne zuhört. Das trifft genau auf Hans Mettier-Heinrich zu. Als ich erst ganz kurz in Arosa war, durfte ich an einer Führung mit dem «Sita-Hans» im Fondei teilnehmen. Das war ein eindrückliches Erlebnis. Dieses Seitental hat es ihm ganz besonders angetan, ist er doch dort oben und in Langwies aufgewachsen. Später hat er Geschichte und Geschichten darüber zusammengetragen. In seinem Büchlein «Das Hochtal Fondei», das mittlerweile in dritter Auflage erschienen ist, sind sie veröffentlicht.

Ein wissensdurstiger Junge

Aufgewachsen ist Hans Mettier als ältester von drei Geschwistern. Seine Eltern waren Landwirte. In Langwies besuchte er während neun Jahren die Primarschule. «Die Bauersleute hatten das Gefühl, die Sekundarschule sei für Langwieser kompliziert und teuer und gar nicht nötig», erinnert er sich. Doch Hans Mettier war ein wissensdurstiger Junge. Von einer Gotte bekam er jedes Jahr den Pestalozzikalender geschenkt. Dieser enthielt praktische Hilfestellungen für den Schulalltag, aber lud mit Beiträgen aus Geschichte, Sport, Natur, Erdkunde oder Technik darüber hinaus zudem zum Schmökern ein. Auch die Schullesebücher habe er immer von A bis Z durchgelesen. Sei es bei der Berechnung geometrischer Formen, oder wenn es darum ging, welches die längsten Flüsse, die grössten Länder oder die höchsten Berge waren – das ganze Wissen nahm er mit Freude auf. Und so sei er nach neun Jahren Primarschule «mit durchwegs guten Lehrern», imstande gewesen, bei der Ausbildung zum Landwirt an der Landwirtschaftlichen Schule Plantahof in Landquart «mit den Absolventen der Sekundarschule mitzuhalten».

Zwischen Fondei und Langwies

Dass Zügeln zwischen dem Fondei und Langwies war einst ganz normal gewesen. Man hatte ein Haus oben und eins unten im Tal. Wobei selbst ein Teil des harten Winters im Fondei verbracht wurde. «Den grösseren Teil des Bodens hatten wir dort, und als es noch keine Transportmöglichkeiten gab, wurde das Heu oben gelagert. Deshalb sind wir im Herbst immer ins Fondei gezogen und dort bis in den Februar geblieben.» Das änderte sich erst mit dem Bau des Karrenwegs respektive später der Strasse. Von da an konnte man das Futter ins Tal bringen – und hier entsprechend länger wohnen. Das war früher nur in beschränktem Umfang möglich gewesen. Vor 1900 haben Jahrhunderte lang bis zu 30 Familien sogar ganzjährig im Fondei gelebt, so Mettier.

Über seine Kindheit sagt er: «Das ist schon eine harte Zeit gewesen.» Dass die Kinder in der Landwirtschaft hätten mithelfen müssen, sei ganz normal gewesen: «Wir haben als Fünfjährige die Kartoffeln zusammen gelesen und das Vieh gehütet. Aber das hat uns nicht geschadet.» Für die Erfüllung grosser Wünsche habe schlicht das Geld gefehlt. Im Pestalozzikalender habe er einmal ein Inserat für Pfeil und Bogen gesehen. «Das hätte ich gerne gehabt. Aber damit hätte ich meinen Eltern gar nicht kommen brauchen.»

Landwirt, Skilehrer und mehr

Nach der Ausbildung zum Landwirt erwarb Hans Mettier das Skilehrerpatent – und damit war die Basis gelegt für seinen beruflichen Werdegang in den folgenden Jahrzehnten. Im Sommerhalbjahr arbeitete er ganztags in der Landwirtschaft, während der Saison als Skilehrer und musste sich doch gleichzeitig auch weiter mit um den väterlichen Hof kümmern, den er 1986 übernahm. «Von der Landwirtschaft allein konnte im Berggebiet fast niemand leben», sagt er. Und so kamen sogar noch weitere Tätigkeiten hinzu: Er verwaltete den Dorfladen und die Kasse der Viehversicherung, führte das Zivilstandsamt, war Gemeinderat und sass im Aufsichtsrat der damaligen Raiffeisenbank in Langwies. «Da ist eins nach dem anderen gekommen. Zeitweise bin ich so auf 90-Stunden-Wochen gekommen, und das über viele Jahre. Da schütteln die Leute heute den Kopf. Es ist schon ein bisschen zu viel gewesen. Wenn meine Frau nicht das ganze Haus gemanagt hätte, auch mit den Ferienwohnungen, dann wäre das nicht gegangen. Aber so hat man wenigstens überlebt und gut überlebt. Das ist auch schön.» Doch sei er nicht traurig darüber, dass keines von seinen Kindern die Landwirtschaft übernommen habe. «Denen geht es heute viel besser als mir früher.» In der Familie ist das Land trotzdem geblieben, seine Neffen David und Hans-Jakob Zippert haben die Flächen übernommen.

Hans Mettier hat 1967 geheiratet, der Ehe mit seiner Frau Elsbeth entsprossen drei Kinder und mittlerweile sechs Enkel. Das Interesse am Gestalten war bei Hans Mettier schon früh geweckt worden. Viele der Möbel in seinem Haus hat er geschreinert. Und nicht nur das: Auch die Baupläne fürs Eigenheim hat er selbst gezeichnet. «Architekt und Bauleiter, das habe ich eingespart», erzählt er. «Das Fundament habe ich mit Schaufel und Pickel von Hand gegraben. Da ist nie eine Baumaschine auf dem Platz gewesen, ausser einem kleinen Betonmischer.» Nachbarn und Freunden hat er ebenfalls geholfen, Pläne gezeichnet und die Baueingaben für sie gemacht. Das Schiessen war ein weiteres grosses Hobby von ihm, dafür bekam er sogar eine eidgenössische Auszeichnung.

Interesse an der Geschichte

Ebenso gross ist sein Interesse an geschichtlichen Themen, hier natürlich vor allem an der Geschichte der Walser und generell der Bündner Geschichte. Von 2011 bis 2019 war er für die Kulturführungen im Fondei verantwortlich. «In diesen acht Jahren habe ich rund 1000 Personen das Fondei gezeigt.» Das Angebot der Kulturführungen war im Zusammenhang mit der Eröffnung des Walserwegs ins Leben gerufen worden: «Wenn man schon an dem Weg wohnt, sollte man auch ein bisschen mehr Werbung machen und einige Aktivitäten starten», war damals die Überzeugung gewesen. Neben der Kulturführung kamen als weitere Angebote das Schaukäsen in der Alten Sennerei und der Liecht-Hengert dazu, die es ebenfalls bis heute gibt. An der Erstellung der Flurnamenkarte für Langwies hat er massgeblich mitgeholfen.

Die dritte Auflage seines Büchleins über das Fondei verschickte Hans Mettier auch an die Verwandtschaft – und weckte damit prompt das Interesse seines Enkels Nando, der im Thurgau lebt. Für seine Matura-Arbeit entwickelte er einen interaktiven Wanderweg von Langwies hinauf ins Fondei. Auf diesem Themenweg kann man sich mit der kostenlosen App Actionbound auf eine Zeitwanderung zu den Walsern begeben. «Das hat mich als Grossvater natürlich sehr gefreut.»

Von Sophia Loren bis Martin Walser

Während 44 Wintern war Hans Mettier Skilehrer in Arosa, davon 20 Jahre im Vorstand der Skischule und zehn Jahre Platzchef in Innerarosa. In dieser Zeit lernte er viele bedeutende Gäste kennen, die er im Skifahren unterrichtete. Spricht man ihn auf seine Begegnungen mit diesen bekannten Persönlichkeiten an, winkt er zunächst ab: «Darüber musst du nicht unbedingt schreiben. Wir haben in Arosa bewusst nie gesagt, was wir für Gäste haben. Das ist über Jahrzehnte hinweg Kurortspolitik gewesen, anders als in St. Moritz.» Doch nach über 50 Jahren, lenkt er dann ein, könne man vielleicht schon ein bisschen darüber erzählen. In den Hotels «Park» und «Savoy», das damals der deutschen Industriellenfamilie Kufus gehörte, hätten sich über Jahrzehnte hinweg die Grössen der westdeutschen Wirtschaft getroffen, allen voran Berthold Beiz, der Chef der deutschen Krupp-Werke, oder Lutz Poullain, damals Chef der Westdeutschen Landesbank. Aber auch Vertreter aus der Welt der Literatur waren unter seinen Gästen, der Verleger Siegfried Unseld, Inhaber des Suhrkamp-Verlags, und nicht zuletzt der Schriftsteller Martin Walser, mit dem er bis zu dessen Tod im vergangenen Jahr Kontakt hielt.

Mettiers bekannteste Skischülerin war ohne Zweifel Sofia Loren, die mit ihrem Mann Carlo Ponti für ein paar Tage in Arosa erschien. «Da kam auf einmal die Anfrage, dass sie gern Unterricht nehmen würde. Im Vorstand der Skischule hat dann auf einmal einer auf mich gezeigt.» Zu einer solchen Gelegenheit habe er natürlich nicht «Nein» gesagt. Doch ganz so einfach war es zunächst nicht: «Ich musste Carlo Ponti einen ganz genauen Stundenplan vorlegen, was wann gemacht wird. Und daran musste ich mich dann auch exakt halten, sonst wäre das Engagement gleich fertig gewesen.» Sophia Loren selber beschreibt er als «sehr umgängliche Person». Und sie habe ihm erzählt, dass es ihr grösster Wunsch sei, weit abseits von dem ganzen Rummel an einer Skihütte sitzen zu dürfen. Aber das ginge halt einfach nicht. Tatsächlich, erinnert er sich, seien damals die Reporter mit ihren Fotoapparaten ständig auf der Lauer gestanden.

Wunderschönes Fondei

Ganz zum Ende unseres Gesprächs kehren wir noch einmal zu seinem geliebten Fondei zurück. Was fasziniert ihn an diesem Hochtal am meisten? «Der ursprüngliche Zustand», sagt er, ohne lange überlegen zu müssen. «Im Fondei siehst du keinen einzigen Betonbau. Da muss man weit gehen, um ein ähnliches Dörfli zu finden. «Das ganze Bild von den alten Häusern, ohne Asphalt, mit den Wiesen ringsum» ist für Hans Mettier einzigartig. Ebenso die Lage in der Höhe mit weiten Ausblicken und den Bergspitzen so nahe. «Das ist schon einmalig.» Und sonnig sei es im Sommer auch schon von morgens um 6 Uhr an. Ganzjährig wohnen im Fondei, das könne er sich aber auch nicht mehr vorstellen. Nicht zuletzt wegen der heftigen Stürme, die oft durch das Hochtal peitschen. «Obwohl Arosa ungefähr auf der gleichen Höhe liegt, kann man das nicht vergleichen.»

Carla Cabrí Arosa Tourismus | © Arosa Tourismus
Autorenschaft
Carla Gabri
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